Studie zeigt: Schon Babys nehmen soziales Umfeld gut wahr
Wenn Babys weinen, sollten sie nicht ignoriert werden, da sie wahrnehmen können, ob andere mit ihnen interagieren könnten, was sie sich sonst alleingelassen fühlen lässt. Professorin Louisa Kulke von der Abteilung für Entwicklungspsychologie mit Pädagogischer Psychologie an der Universität Bremen und ihr Team haben herausgefunden, dass Säuglinge sozial sensibler sind, als bisher angenommen. Ihre Studie wurde kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Developmental Science“ veröffentlicht.
„Lass das Baby einfach weinen, dann hört es schon auf!“ – solche gut gemeinten Ratschläge sind vielen jungen Eltern bekannt. Doch laut Entwicklungspsychologin Lousa Kulke ist dies ein Trugschluss. Babys erkennen nämlich die soziale Situation, in der sie sich befinden, und ob jemand auf sie reagieren könnte.
„Erwachsene verhalten sich je nach sozialem Kontext unterschiedlich“, erklärt Professorin Kulke. „In öffentlichen Situationen, wie etwa in einer Straßenbahn, vermeiden wir es, andere Menschen anzustarren. Ohne bewusst darüber nachzudenken, halten wir uns an soziale Regeln. Zu Hause auf dem Sofa vor dem Fernseher hingegen können wir frei schauen und ohne Scham andere Menschen anstarren“, so Kulke. Bisher nahm man an, dass Babys solchen sozialen Regeln noch nicht folgen und weniger auf andere achten.
Diese Annahme wurde nun durch Louisa Kulke und ihr Team widerlegt: „Schon drei Monate alte Säuglinge erkennen den sozialen Kontext, in dem sie sich befinden“, erklärt die Entwicklungspsychologin.
Babys sind sich ihres sozialen Umfelds bewusst
Auch Babys schauen in sozialen Situationen fremde Menschen nicht direkt an, während sie diese in Videos interessiert beobachten. „Interessant ist, dass dieses Verhalten nicht auf Desinteresse beruht, sondern darauf, dass Menschen von klein auf ihre Blicke aufgrund des sozialen Kontexts steuern“, erklärt Kulke. Normalerweise schauen Menschen das an, was sie besonders interessiert, doch das ist nicht immer der Fall. Man kann seine Aufmerksamkeit auch auf etwas richten, ohne es direkt anzusehen.
Um diese Art der Aufmerksamkeit zu messen, hat Professorin Kulke eine spezielle Methode entwickelt: „Wir kombinieren die Messung von Augenbewegungen mit der Messung von Hirnströmen durch Elektroenzephalographie (EEG). So können wir erkennen, ob das Gehirn aufmerksam ist, selbst wenn die Augen woanders hinschauen“. Und genau das war der Fall. Sowohl Babys als auch Erwachsene schauen fremde Menschen nicht direkt an, obwohl ihr Gehirn aufmerksam ist. Besonders interessant fanden die Forschenden dies im Vergleich zwischen direkten Interaktionen und Videos.
Die Untersuchungen zeigten, dass Babys unterschiedlich auf direkte Interaktionen und Videos reagieren und beide Situationen gut unterscheiden können. Dies ist nach Meinung der Forschenden besonders wichtig in einer Welt zunehmender Digitalisierung und Videotelefonie. Denn wenn Babys den Unterschied zwischen Videos und echten Interaktionen kennen, können Interaktionen mit ihnen nicht einfach durch Videos ersetzt werden.